Brüssel/Wien – Die Europäische Kommission und die UNESCO bündeln ihre Kräfte, um Schulen fit für das Zeitalter der Künstlichen Intelligenz zu machen, während ein kontroverses Schulmodell aus den USA zeigt, welche Risiken eine unregulierte KI-Implementierung birgt.
Die Digitalisierung hat die Klassenzimmer längst erreicht, doch die rasante Entwicklung Künstlicher Intelligenz (KI) stellt das Bildungssystem vor eine neue, tiefgreifende Herausforderung. Wie können Schulen die Potenziale von KI nutzen, ohne die pädagogische Qualität und das Wohl der Schüler:innen zu gefährden? Um dieser Frage auf höchster Ebene zu begegnen, haben die Europäische Kommission und die UNESCO am 17. Oktober 2025 in Brüssel die Initiative „FutureProof Education: Supporting Schools in the AI Evolution“ ins Leben gerufen [1]. Diese Initiative zielt darauf ab, Schulen in der gesamten EU dabei zu unterstützen, kohärente Strategien für den sicheren, ethischen und sinnvollen Einsatz von KI zu entwickeln.
Der EU AI Act: Klare Regeln für KI im Klassenzimmer
Die „FutureProof Education“-Initiative agiert nicht im luftleeren Raum. Sie ist eng mit dem rechtlichen Rahmen des EU AI Act verknüpft, der weltweit ersten umfassenden Regulierung für Künstliche Intelligenz. Der AI Act verfolgt einen risikobasierten Ansatz und stuft KI-Systeme, die im Bildungsbereich eingesetzt werden, als „Hochrisiko-Systeme“ ein [2]. Dies betrifft insbesondere Anwendungen, die den Zugang zu Bildungseinrichtungen bestimmen oder die Lernfortschritte und die Benotung von Schüler:innen evaluieren.
Für Anbieter solcher Systeme bedeutet diese Einstufung strenge Auflagen. Sie müssen unter anderem hohe Standards bei Transparenz, Datenqualität, menschlicher Aufsicht und Cybersicherheit erfüllen, bevor ihre Produkte in europäischen Schulen zum Einsatz kommen dürfen. Ziel ist es, Diskriminierung durch Algorithmen zu verhindern und sicherzustellen, dass die finale Entscheidungsgewalt stets bei menschlichen Lehrkräften liegt. Die EU setzt damit ein klares Zeichen: Innovation ja, aber nicht auf Kosten der Grundrechte und der Sicherheit von Kindern und Jugendlichen.
Österreichs Schulen im KI-Wandel
Für Österreichs Schullandschaft, die durch die Geräteinitiative „Digitales Lernen“ bereits einen großen Schritt in Richtung Digitalisierung gemacht hat, kommt die neue EU-Initiative zur richtigen Zeit. Während Schüler:innen digitalen Medien im Unterricht laut einer rezenten Studie mehrheitlich positiv gegenüberstehen, fühlen sich viele Lehrkräfte noch unsicher im Umgang mit den neuen Technologien [3]. Die „FutureProof Education“-Initiative soll hier ansetzen und Lehrkräften sowie Schulleitungen praktische Werkzeuge und Fortbildungen an die Hand geben, um KI-Anwendungen kompetent und kritisch in den Unterricht zu integrieren.
Das österreichische Bildungsministerium hat die Bedeutung von KI ebenfalls erkannt und fördert mit Initiativen wie „SHE GOES AI“ gezielt die digitalen Kompetenzen von Frauen und Mädchen [4]. Die Diskussion in den heimischen Medien zeigt jedoch auch die Ambivalenz des Themas. Während einige Expert:innen die Chancen für personalisiertes Lernen betonen, warnen andere vor einer „Überrollung“ des Bildungssystems durch unreflektierten Technologieeinsatz [5].
Internationale Perspektive: Das warnende Beispiel der „Alpha School“
Wie berechtigt die Sorgen vor einer unkontrollierten Implementierung von KI im Bildungsbereich sind, zeigt ein investigativer Bericht des US-Magazins WIRED über die „Alpha School“ in Texas [6]. An dieser Privatschule, die von einflussreichen Tech-Milliardären unterstützt wird, wurde der Unterricht weitgehend an eine KI-gestützte Lernsoftware ausgelagert. Menschliche „Guides“ ersetzten ausgebildete Lehrkräfte und beschränkten sich auf eine reine Aufsichtsfunktion.
Die Folgen waren laut dem Bericht dramatisch. Eltern berichteten von Kindern, die unter enormen psychischen Druck gerieten, weil sie die von der Software vorgegebenen Lernziele nicht erreichten. Ein neunjähriges Mädchen habe sogar Mahlzeiten ausgelassen und signifikant an Gewicht verloren, um die geforderten Aufgaben zu bewältigen. Die Software, so die Kritik, agierte als unnachgiebiger Antreiber, ohne die individuellen Bedürfnisse und den emotionalen Zustand der Kinder zu berücksichtigen. Das Experiment der „Alpha School“ dient somit als eindringliche Warnung, was passieren kann, wenn Technologie nicht als Werkzeug zur Unterstützung von Lehrkräften, sondern als deren Ersatz verstanden wird.
Kritische Einordnung: Die Balance zwischen Innovation und Verantwortung
Die Gegenüberstellung der europäischen „FutureProof Education“-Initiative und des amerikanischen „Alpha School“-Modells verdeutlicht zwei fundamental unterschiedliche Herangehensweisen an die Integration von KI in die Bildung. Während die EU auf einen regulierten, menschenzentrierten und pädagogisch fundierten Ansatz setzt, der die Lehrkräfte stärkt, priorisiert das US-Modell eine radikale Automatisierung und Effizienzsteigerung, die das Wohl der Kinder zu gefährden scheint.
Für die Zukunft der Bildung in Österreich und Europa wird es entscheidend sein, eine gesunde Balance zu finden. KI-Systeme können Lehrkräfte von administrativen Aufgaben entlasten, personalisierte Lernpfade für Schüler:innen erstellen und den Zugang zu Wissen erleichtern. Doch sie können und dürfen die menschliche Interaktion, die Empathie und die pädagogische Expertise einer Lehrkraft nicht ersetzen. Der kritische und kompetente Umgang mit diesen neuen Werkzeugen ist daher die Kernkompetenz, die es in den kommenden Jahren zu vermitteln gilt – bei Schüler:innen wie bei Lehrkräften gleichermaßen.
Quellen:
[1] UNESCO (2025, 31. Oktober). FutureProof Education: Supporting Schools in the AI Evolution. Abgerufen von https://www.unesco.org/en/articles/futureproof-education-supporting-schools-ai-evolution
[2] Europäische Kommission. AI Act. Abgerufen von https://digital-strategy.ec.europa.eu/en/policies/regulatory-framework-ai
[3] Der Standard (2025, 29. Oktober). Digitalisierung an Schulen: Schüler:innen begeistert, Lehrkräfte verunsichert. Abgerufen von https://medienbildung.at/aktuelles/digitalisierung-an-schulen-schuelerinnen-begeistert-lehrkraefte-verunsichert/
[4] BMFWF (2025, 30. Oktober). Bundesregierung will mit „SHE GOES AI“ Frauen in der KI-Branche stärken. Abgerufen von https://www.bmfwf.gv.at/ministerium/presse/20251030.html
[5] Der Standard (2025, 10. Oktober). Die Kraft der KI lenken oder sich überrollen lassen. Abgerufen von https://www.derstandard.at/story/3100000291314/die-kraft-der-ki-lenken-oder-sich-ueberrollen-lassen
[6] WIRED (2025, 27. Oktober). Parents Fell in Love With Alpha School’s Promise. Then They Wanted Out. Abgerufen von https://www.wired.com/story/ai-teacher-inside-alpha-school/



