Seit gestern gelten neue EU-Regeln, die unabhängiger Forschung den Zugang zu den Datenschätzen von TikTok, Instagram und Co. ermöglichen sollen. Doch schon zum Start zeigt sich: Die Plattformen sperren sich gegen die neuen Pflichten, wie eine aktuelle Untersuchung der EU-Kommission gegen Meta und TikTok enthüllt.
Seit dem 29. Oktober 2025 ist ein entscheidender Teil des Digital Services Act (DSA) der Europäischen Union in Kraft: Ein neuer delegierter Rechtsakt [1] soll qualifizierten Forscher:innen den Zugang zu den Daten von sehr großen Online-Plattformen und Suchmaschinen wie TikTok, Instagram, Facebook, X (vormals Twitter) und Co. ermöglichen. Ziel ist es, die „systemischen Risiken“ zu untersuchen, die von den Plattformen ausgehen – von der Verbreitung illegaler Inhalte über die Auswirkungen auf die psychische Gesundheit bis hin zur Gefährdung von Minderjährigen. Doch die Freude über den Meilenstein wird getrübt: In einer vorläufigen Untersuchung wirft die EU-Kommission ausgerechnet den bei Kindern und Jugendlichen beliebten Plattformen TikTok und Meta (Facebook, Instagram) vor, ihre Transparenzpflichten bereits jetzt zu verletzen [2].
Der Digital Services Act: Ein neues Zeitalter der Plattform-Verantwortung in der EU
Der Digital Services Act (DSA) ist eine der zentralen Säulen der europäischen Digitalstrategie und gilt seit Februar 2024 für alle Online-Vermittler in der EU. Besonders strenge Regeln gelten für „sehr große Online-Plattformen“ (Very Large Online Platforms, VLOPs) mit mehr als 45 Millionen aktiven Nutzer:innen in der EU. Diese müssen nicht nur stärker gegen illegale Inhalte vorgehen und transparenter bei Werbeanzeigen sein, sondern auch Vorkehrungen treffen, um gesellschaftliche Risiken zu minimieren. Dazu gehört explizit die Pflicht, unabhängigen Forscher:innen den Zugang zu Daten zu gewähren, um die Auswirkungen ihrer Algorithmen und Inhaltemoderation auf die Gesellschaft zu untersuchen.
Henna Virkkunen, Exekutiv-Vizepräsidentin für Technologische Souveränität, Sicherheit und Demokratie der EU-Kommission, betont die Bedeutung dieses Schrittes:
„Ein sichereres Online-Umfeld beginnt mit der Untersuchung der Risiken. Mit den Regeln des Digital Services Act können unabhängige Forscher nun neue Daten von Online-Plattformen untersuchen. Das Verständnis der potenziellen Risiken, die Online-Plattformen für ihre Nutzer haben können, ist ein weiterer Schritt, um die Rechenschaftspflicht der Plattformen zu gewährleisten.“ [3]
Österreich im Fokus: Was bedeuten die neuen Regeln für die heimische Forschung und Bildung?
Auch für Österreich, wo Plattformen wie TikTok, Instagram und YouTube den Alltag von Schüler:innen und Familien prägen, sind die neuen DSA-Regeln von großer Bedeutung. Heimische Forschungseinrichtungen und Universitäten haben nun die Möglichkeit, über die nationalen Koordinierungsstellen für digitale Dienste (in Österreich die Kommunikationsbehörde Austria, KommAustria) Anträge auf Datenzugang zu stellen. Damit können sie beispielsweise untersuchen, wie Algorithmen die politische Meinungsbildung beeinflussen, welche Rolle sie bei der Verbreitung von Desinformation spielen oder wie sie sich auf die psychische Gesundheit von Jugendlichen auswirken.
Die Ergebnisse dieser Forschung können direkt in die Medienbildung an Schulen und in der Elternarbeit einfließen. Lehrkräfte und Eltern erhalten so eine fundierte Grundlage, um mit jungen Menschen über die Funktionsweise und die Gefahren von Social-Media-Plattformen zu sprechen. Es geht darum, nicht nur die Inhalte zu bewerten, sondern auch die unsichtbaren Mechanismen dahinter zu verstehen – eine Kernkompetenz im 21. Jahrhundert.
Internationale Perspektive: Die EU als globaler Vorreiter – doch die Plattformen mauern
Mit dem DSA und dem neuen Recht auf Datenzugang für die Forschung positioniert sich die EU weltweit als Vorreiterin in der Regulierung von Big Tech. Während in den USA ähnliche Gesetze noch diskutiert werden, schafft die EU Fakten. Doch die vorläufigen Ergebnisse der Untersuchung gegen Meta und TikTok zeigen, dass der Weg steinig ist. Die Kommission kritisiert, dass die Plattformen „belastende Verfahren und Instrumente“ für den Datenzugang implementiert haben, die Forscher:innen oft nur mit unvollständigen oder unzuverlässigen Daten zurücklassen [2].
Dies behindert die unabhängige Kontrolle und lässt die Frage aufkommen, wie ernst die Plattformen ihre Verantwortung nehmen. Einem Bericht des renommierten Wissenschaftsmagazins Science zufolge blockieren Meta und TikTok den Zugang für Forscher:innen aktiv und erschweren so die Untersuchung von systemischen Risiken für die EU [4].
Zwischen Anspruch und Wirklichkeit
Die neuen DSA-Regeln sind ein Meilenstein für die Transparenz und Rechenschaftspflicht von Online-Plattformen. Erstmals wird gesetzlich verankert, dass nicht nur die Unternehmen selbst, sondern auch unabhängige Expert:innen die „Blackbox der Algorithmen“ durchleuchten können. Doch die Realität zeigt, dass die Umsetzung eine große Herausforderung bleibt. Die Konzerne scheinen wenig Interesse daran zu haben, sich in die Karten schauen zu lassen. Es wird entscheidend sein, wie konsequent die EU-Kommission und die nationalen Aufsichtsbehörden wie die KommAustria die neuen Regeln durchsetzen. Bei Verstößen drohen den Plattformen empfindliche Strafen von bis zu 6 % ihres weltweiten Jahresumsatzes.
Weiterführende Informationen gibt es auch bei der Stiftung Datenschutz.
Quellen
[1] Europäische Kommission (29. Oktober 2025). New measures unlock access to data from largest online platforms to support research. https://digital-strategy.ec.europa.eu/en/news/new-measures-unlock-access-data-largest-online-platforms-support-research
[2] Europäische Kommission (24. Oktober 2025). Commission preliminarily finds TikTok and Meta in breach of their transparency obligations under the Digital Services Act. https://ec.europa.eu/commission/presscorner/detail/en/ip_25_2503
[3] Zitiert in: Europäische Kommission (29. Oktober 2025). New measures unlock access to data from largest online platforms to support research.
[4] Science (29. Oktober 2025). Meta and TikTok are obstructing researchers’ access to data, European Commission rules. https://www.science.org/content/article/meta-and-tiktok-are-obstructing-researchers-access-data-european-commission-rules



