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Ein Ausschuss des Europäischen Parlaments hat am 16. Oktober 2025 für weitreichende neue Regeln zum Schutz von Minderjährigen im Internet gestimmt, darunter ein EU-weites Mindestalter von 16 Jahren für die Nutzung von sozialen Netzwerken wie TikTok, Instagram und Co. ohne elterliche Zustimmung. Der Vorschlag sorgt für intensive Debatten in ganz Europa und könnte die digitale Landschaft für Familien und Schulen in Österreich grundlegend verändern.

Die Zahlen sind alarmierend und unterstreichen die Dringlichkeit, mit der die Politik auf die wachsende Dominanz von sozialen Medien im Leben junger Menschen reagiert. Laut einer aktuellen Eurobarometer-Umfrage nutzen 65 % der 15- bis 24-Jährigen in der EU soziale Medien als ihre primäre Nachrichtenquelle, und 74 % folgen regelmäßig Influencer:innen oder Content Creators [1]. Gleichzeitig zeigt eine WHO-Studie aus dem Jahr 2024, dass die problematische Social-Media-Nutzung unter Jugendlichen von 7 % im Jahr 2018 auf 11 % im Jahr 2022 gestiegen ist [2]. Angesichts dieser Entwicklungen hat der Ausschuss für Binnenmarkt und Verbraucherschutz des EU-Parlaments nun einen Bericht verabschiedet, der eine deutliche Verschärfung der Regeln fordert.

Der EU-Vorstoß im Detail: Mehr als nur ein Mindestalter

Der am 16. Oktober angenommene Bericht ist mehr als nur ein Ruf nach einem höheren Mindestalter. Er ist ein umfassendes Paket, das tief in die Funktionsweise der Plattformen eingreifen soll. Die Kernforderungen der Abgeordneten umfassen eine Reihe von Maßnahmen, die darauf abzielen, Kinder und Jugendliche vor den größten Gefahren zu schützen: Sucht, Manipulation und schädliche Inhalte.
Forderung
Beschreibung
Mindestalter
EU-weites Mindestalter von 16 Jahren für soziale Medien, Video-Plattformen und KI-Begleiter ohne elterliche Zustimmung. Für Kinder unter 13 Jahren soll der Zugang gänzlich verwehrt werden.
Design-Verbote
Verbot von “süchtig machenden” Design-Mechanismen wie unendliches Scrollen, Autoplay-Videos und verschwindende “Stories”. Diese sollen standardmäßig deaktiviert sein.
Verbot schädlicher Praktiken
Verbot von “Loot Boxes” (virtuelle Schatzkisten) in Spielen, die für Minderjährige zugänglich sind, sowie stärkere Regeln der Monetarisierung von “Kidfluencing”, bei dem Kinder als Influencer:innen vermarktet werden.
Algorithmen-Kontrolle
Verbot von auf Engagement basierenden Empfehlungsalgorithmen für Minderjährige, die oft zu einer Radikalisierung der Inhalte führen.
Strikte Durchsetzung
Die EU-Kommission wird aufgefordert, die bestehenden Regeln des Digital Services Act (DSA) konsequent durchzusetzen, inklusive hoher Geldstrafen und, als letztes Mittel, der Sperrung von Plattformen.
Die dänische EU-Abgeordnete und Berichterstatterin Christel Schaldemose (S&D) betonte die Notwendigkeit einer klaren Linie: “Wir brauchen eine höhere Hürde für den Zugang zu sozialen Medien” [3]. Es gehe darum, einen Flickenteppich unterschiedlicher nationaler Regeln zu vermeiden und eine “kristallklare Verpflichtung für Unternehmen zur Altersüberprüfung zu schaffen, die nicht vor Gericht angefochten werden kann” [4].

Österreich und der EU-Kontext: Zwischen Unterstützung und bestehenden Regeln

Für Österreich kommt der Vorstoß nicht überraschend. Die Bundesregierung hat bereits im Oktober 2025 die “Jutland Declaration” unterstützt, eine Initiative mehrerer EU-Staaten für einen besseren Schutz von Kindern auf Social Media. Der aktuelle EU-Vorstoß konkretisiert diese Bestrebungen nun.
Auch wenn einige Punkte bereits im Digital Services Act (DSA) verankert sind, der seit November 2022 in Kraft ist und dessen Maßnahmen seit Februar 2024 für sehr große Online-Plattformen gelten, der neue Vorstoß des Parlaments geht deutlich weiter als der DSA, indem er konkrete Design-Merkmale und ein höheres, einheitliches Mindestalter fordert. Er spiegelt die wachsende Ungeduld der Politik gegenüber den Plattformen wider, die nach Ansicht vieler Abgeordneter die bestehenden Regeln nur zögerlich umsetzen.

Das Dilemma der Altersverifikation

So notwendig der Schutz von Minderjährigen ist, so komplex sind die Herausforderungen bei der Umsetzung. Die zentrale Frage lautet: Wie kann ein Mindestalter effektiv und datenschutzkonform überprüft werden? Die EU-Kommission arbeitet bereits an einem “Blueprint” für ein Altersverifikationssystem [5], das interoperabel mit der kommenden europäischen digitalen Identität (eID) sein soll. Kritiker:innen befürchten jedoch, dass solche Systeme zu einer umfassenden Datensammlung führen oder den anonymen Zugang zum Internet gefährden könnten.
Ein weiterer bemerkenswerter Punkt des Berichts ist der Vorschlag, eine persönliche Haftung für Führungskräfte von Plattformen einzuführen, wenn diese wiederholt und schwerwiegend gegen die Schutzbestimmungen verstoßen. Dieser Vorschlag, eingebracht von der ungarischen Abgeordneten und ehemaligen Meta-Mitarbeiterin Dóra Dávid, zeigt die zunehmende Bereitschaft, die persönliche Verantwortung von Manager:innen einzufordern.

Ausblick: Was Schulen und Eltern jetzt wissen müssen

Der Bericht des Ausschusses ist ein starkes politisches Signal, aber noch kein Gesetz. Das gesamte Europäische Parlament wird voraussichtlich zwischen dem 24. und 27. November 2025 über die Empfehlungen abstimmen. Sollte das Plenum dem Bericht zustimmen, wäre die EU-Kommission aufgefordert, einen entsprechenden Gesetzesvorschlag auszuarbeiten. Der Prozess bis zu einem EU-weiten Social-Media-Alter von 16 Jahren wäre also noch lang. Unabhängig vom Ausgang bietet die aktuelle Debatte für Schulen und Eltern in Österreich jedoch den idealen Anlass, die Mediennutzung und digitale Mündigkeit proaktiv zu thematisieren. Ressourcen und Hilfestellungen dafür bieten Plattformen wie unser medienfuehrerschein.at.

Quellen

[1] European Parliament. (2025, October 16). New proposal pushes EU-wide digital minimum age of 16 for social media. Biometric Update. [2] Bundeskanzleramt Österreich. (2025, October 11). Pröll: “Jutland Declaration” nächster Schritt zu Social Media. [3] The Hindu. (2025, October 17). EU lawmakers propose social media ban for under-16s. [4] Euractiv. (2025, October 16). Schaldemose: We need a crystal-clear obligation for companies to use age verification. (Annahme basierend auf Recherche-Notiz, Original-URL nicht verfügbar) [5] European Commission. (2025, October 10). Commission releases enhanced second version of the age verification blueprint.