Eine wachsende Zahl an Studien liefert alarmierende Belege für die negativen Auswirkungen von exzessiver Social-Media-Nutzung auf Jugendliche. Eine aktuelle US-Studie zeigt erstmals einen klaren Zusammenhang zwischen steigendem Social-Media-Konsum und sinkender kognitiver Leistungsfähigkeit, während eine im Februar veröffentlichte österreichische Studie nachweist, dass eine bewusste Reduktion der Smartphone-Nutzung das psychische Wohlbefinden messbar verbessern kann.
Die Debatte über die Folgen von Social Media für junge Menschen wird oft emotional geführt, doch nun verdichten sich die wissenschaftlichen Fakten. Eine am 13. Oktober 2025 im renommierten Journal of the American Medical Association (JAMA) veröffentlichte Studie hat ergeben, dass Jugendliche, die ihre Zeit auf Plattformen wie TikTok, Instagram und Snapchat stark erhöhen, bei kognitiven Tests zu Gedächtnis und Lesen um bis zu vier Punkte schlechter abschneiden als ihre Altersgenossen mit geringer Nutzung [1]. Die Daten stammen aus der groß angelegten Adolescent Brain Cognitive Development (ABCD)-Langzeitstudie des US National Institutes of Health (NIH) mit rund 11.000 Kindern – einer der umfassendsten Erhebungen ihrer Art. Gleichzeitig belegt eine randomisierte kontrollierte Studie der Universität für Weiterbildung Krems, dass eine dreiwöchige Reduktion der Smartphone-Nutzung auf unter zwei Stunden täglich bei Studierenden zu messbaren Verbesserungen bei Wohlbefinden, Stress und Schlafqualität führt [2].
Die Fakten im Überblick: Drei Studien, ein klares Bild
Die jüngsten Forschungsergebnisse zeichnen ein konsistentes Bild der Herausforderungen, die durch die intensive Nutzung digitaler Medien entstehen.
Studie / Quelle
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Kernergebnis
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Details
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JAMA / ABCD Study (USA)
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-4 Punkte bei kognitiven Tests
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Jugendliche (9-13 J.) mit stark steigender Social-Media-Nutzung (ca. +3h/Tag) schneiden bei Lese- und Gedächtnistests signifikant schlechter ab.
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BMC Medicine / Uni Krems (Österreich)
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Kleine bis mittlere Effekte auf psychische Gesundheit
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111 Studierende (Ø 22,7 J.) zeigten nach 3 Wochen Smartphone-Reduktion auf <2h/Tag Verbesserungen bei Stress, Wohlbefinden und Schlaf. Effekte verschwanden nach Interventionsende.
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WHO / Bundeskanzleramt (EU)
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+57% problematische Nutzung
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Die problematische Social-Media-Nutzung bei Jugendlichen stieg laut WHO von 7% (2018) auf 11% (2022) an, was negative Folgen für mentale Gesundheit und Schulleistungen hat [3].
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Kognitive Leistung sinkt: Was im Gehirn passiert
Die US-Studie, die auf den Daten der groß angelegten “Adolescent Brain Cognitive Development (ABCD)” Untersuchung mit Tausenden von Kindern basiert, ist eine der ersten, die den Fokus von der mentalen Gesundheit auf die kognitive Entwicklung legt. Hauptforscher Jason Nagata von der University of California, San Francisco, und sein Team stellten fest, dass die Unterschiede auch nach Berücksichtigung von Faktoren wie sozioökonomischem Status oder anderer Bildschirmzeit bestehen bleiben.
Experten erklären dies mit der entscheidenden Entwicklungsphase des Gehirns in der frühen Jugend. Dan Florell, ein nicht an der Studie beteiligter Psychologieprofessor, erklärte gegenüber Education Week, dass das Gehirn in der Pubertät nach Input sucht, um sich zu formen.
„Wenn man es mit sehr viel Social Media flutet, beginnt es, Teile des Gehirns so zu beschneiden, dass es für diese Nutzung empfänglicher wird. Und wie die Studie andeutet, ist Social-Media-Nutzung vielleicht nicht das Beste, wenn man mehr lernen will.“ [1]
Die österreichische Perspektive: Smartphone-Reduktion zeigt Wirkung
Die im Februar 2025 in BMC Medicine veröffentlichte Studie der Universität für Weiterbildung Krems konzentriert sich auf das psychische Wohlbefinden. Christoph Pieh und sein Team führten eine randomisierte kontrollierte Studie mit 111 Studierenden durch, bei denen eine Gruppe ihre Smartphone-Nutzung drei Wochen lang auf unter zwei Stunden täglich reduzieren sollte, während eine Kontrollgruppe ihr Verhalten nicht änderte [2].
Die Ergebnisse zeigten kleine bis mittlere Effekte: Die Interventionsgruppe berichtete von signifikanten Verbesserungen bei depressiven Symptomen, Stress, Schlafqualität und allgemeinem Wohlbefinden. Die Autoren sprechen von einem kausalen Zusammenhang zwischen Smartphone-Nutzung und psychischer Gesundheit. Allerdings stieg die Bildschirmzeit nach Ende der dreiwöchigen Intervention schnell wieder an und näherte sich dem Ausgangsniveau – ein Hinweis darauf, dass kurzfristige Interventionen allein nicht ausreichen.
Eine weitere in *Die Presse* zitierte Studie belegt, dass Jugendliche, die abends ein Handyverbot haben, im Schnitt 40 Minuten länger schlafen und bessere Schulleistungen erbringen [4]. Dies unterstreicht, dass nicht jede Bildschirmzeit gleich wirkt: Während das Hören von Musik oder Podcasts kaum negative Effekte hat, ist es vor allem das “endlose Scrollen” auf Social-Media-Plattformen, das problematisch ist.
Politik reagiert: EU und Österreich fordern strengere Regeln
Auf einem Treffen der EU-Telekommunikationsminister am 10. Oktober 2025 unterzeichnete Österreich die sogenannte „Jutland Declaration“, die einen besseren Schutz von Minderjährigen im Netz fordert. Die WHO-Daten, die einen Anstieg der problematischen Social-Media-Nutzung von 7 % auf 11 % innerhalb von vier Jahren belegen, dienen dabei als wichtige Grundlage.
Staatssekretär Alexander Pröll formulierte eine klare Haltung:
„Ich spreche mich klar für ein Mindestalter auf Social Media aus. Das gemeinsame EU-weite Ziel ist der Schutz von Kindern und Jugendlichen im Netz. Mit der Jutland Declaration setzen wir einen weiteren Schritt und ein starkes Signal für mehr Verantwortung aller Akteure.“ [3]
Konkret fordert Österreich auf EU-Ebene eine verpflichtende Altersverifikation, die Eindämmung manipulativer Designs wie Endlos-Scrollen und Autoplay sowie eine stärkere Verankerung von Sicherheitseinstellungen „by design“ und „by default“.
Was Eltern und Schulen tun können
Die Studien liefern konkrete Ansatzpunkte für den Alltag, auch wenn sie zeigen, dass nachhaltige Verhaltensänderungen schwierig sind. Die Krems-Studie macht deutlich, dass eine bewusste Reduktion der Bildschirmzeit kurzfristig positive Effekte haben kann, diese aber ohne strukturelle Unterstützung schnell wieder verschwinden. Für Eltern und Lehrkräfte bedeutet das: Regeln zur Bildschirmzeit sind wirksam und notwendig, müssen aber langfristig angelegt und konsequent umgesetzt werden. Es geht nicht um ein generelles Verbot, sondern um einen bewussten und zeitlich begrenzten Umgang, insbesondere mit den auf Endlos-Interaktion ausgelegten Social-Media-Apps.
Digitale Kompetenzen müssen Hand in Hand mit Bewusstseinsbildung gehen – nicht nur Bildschirmzeit reduzieren, sondern verstehen, was sie mit uns macht. Die Förderung von Medienkompetenz, wie sie auch von der österreichischen Bundesregierung gefordert wird, bleibt eine zentrale Aufgabe für das Bildungssystem.
Quellen
[1] Langreo, L. (17. Oktober 2025). *Kids’ Social Media Use Linked to Lower Reading and Memory Scores, Study Suggests.* Education Week. https://www.edweek.org/leadership/kids-social-media-use-linked-to-lower-reading-and-memory-scores-study-suggests/2025/10 [2] Pieh, C., Humer, E., Hoenigl, A., Schwab, J., Mayerhofer, D., Dale, R., & Haider, K. (2025). *Smartphone screen time reduction improves mental health: a randomized controlled trial.* BMC Medicine, 23(1), 107. https://bmcmedicine.biomedcentral.com/articles/10.1186/s12916-025-03944-z [3] Bundeskanzleramt Österreich (11. Oktober 2025). *Pröll: „Jutland Declaration“ nächster Schritt zu Social Media.* https://www.bundeskanzleramt.gv.at/bundeskanzleramt/nachrichten-der-bundesregierung/2025/10/jutland-declaration-naechster-schritt-zu-social-media.html [4] *Die Presse* (1. Oktober 2025). *Jugendliche, die abends Handyverbot haben, sind besser in der Schule.* https://www.diepresse.com/20158148/jugendliche-die-abends-handyverbot-haben-sind-besser-in-der-schule