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Brüssel/Wien – Angesichts einer massiven Lücke bei digitalen Fähigkeiten in der Bevölkerung hat die Europäische Kommission mit DigComp 3.0 eine umfassende Aktualisierung des Europäischen Kompetenzrahmens für digitale Kompetenzen vorgelegt. Die Neuerungen rücken Künstliche Intelligenz (KI), den Kampf gegen Desinformation und das digitale Wohlbefinden ins Zentrum – mit direkten Folgen für Schulen und Familien in Österreich.

Die Zahlen, die die Europäische Kommission zur Veröffentlichung des neuen Referenzrahmens präsentiert, sind alarmierend. Im Jahr 2023 verfügten nur 56% der Erwachsenen in der EU über grundlegende digitale Fähigkeiten . Gleichzeitig nutzen bereits 92% der Arbeitskräfte in der EU digitale Technologien bei ihrer Arbeit, und 30% setzen KI-Systeme ein. Jedoch haben nur 15% dieser KI-Nutzer:innen eine entsprechende Schulung erhalten. Diese wachsende Kluft zwischen Anforderung und Realität soll der aktualisierte Digitale Kompetenzrahmen (DigComp) nun adressieren.

Was ist DigComp und was bringt die Version 3.0?

Der DigComp-Rahmen wurde erstmals 2013 entwickelt, um eine gemeinsame Sprache und ein gemeinsames Verständnis dafür zu schaffen, was es bedeutet, im digitalen Zeitalter kompetent zu sein. Er dient seither als Grundlage für die Gestaltung von Lehrplänen, Weiterbildungsangeboten und Zertifizierungen in ganz Europa. Mindestens 22 EU-Mitgliedstaaten, darunter auch Österreich, haben den Rahmen bereits für ihre bildungspolitischen Strategien adaptiert .
Die nun vorgestellte Version 3.0 ist die umfassendste Überarbeitung seit Jahren und wurde in Zusammenarbeit mit rund 300 Expert:innen entwickelt. Sie behält die bewährte Grundstruktur bei, integriert aber systematisch neue, drängende Themenfelder, die unsere digitale Lebenswelt prägen.
Neuer Schwerpunkt in DigComp 3.0
Beschreibung
Relevanz für Lehrkräfte und Eltern
Künstliche Intelligenz (KI)
Kompetenzen im Umgang mit KI-Systemen, insbesondere generativer KI, werden erstmals systematisch in allen Bereichen verankert.
Schüler:innen müssen lernen, KI-Tools kritisch zu nutzen, Lehrkräfte benötigen Kompetenzen für den didaktisch sinnvollen Einsatz.
Bekämpfung von Desinformation
Fähigkeiten zur Identifizierung und zum Umgang mit Falschinformationen und manipulativen Inhalten werden gestärkt.
Essentiell zur Förderung der Nachrichtenkompetenz von Kindern und Jugendlichen in einer komplexen Medienlandschaft.
Cybersicherheit & Datenschutz
Der sichere Umgang mit persönlichen Daten, das Erkennen von Cyber-Angriffen und der Schutz der eigenen digitalen Identität.
Schutz vor Risiken wie Phishing, Betrug oder Datenmissbrauch wird zur Schlüsselkompetenz für die ganze Familie.
Digitales Wohlbefinden & Inklusion
Kompetenzen zur Aufrechterhaltung der psychischen und physischen Gesundheit in digitalen Umgebungen (z.B. Screen-Time-Management).
Eltern und Pädagog:innen erhalten eine Grundlage, um Themen wie Cyber-Mobbing oder digitale Sucht präventiv zu behandeln.
Digitale Rechte & Verantwortung
Das Wissen um die eigenen Rechte als digitale:r Bürger:in (z.B. Recht auf Vergessenwerden) und die damit verbundene Verantwortung.
Stärkt die Mündigkeit von jungen Menschen im Netz und befähigt sie, für ihre Rechte einzustehen.

Österreich im EU-Kontext

Für Österreich ist das Update mehr als nur eine ferne Leitlinie aus Brüssel. Als aktiver EU-Mitgliedstaat, der DigComp bereits in nationalen Strategien zur digitalen Bildung verankert hat, schafft die Version 3.0 einen neuen Handlungsrahmen. Bildungseinrichtungen von der Schule bis zur Erwachsenenbildung sind nun gefordert, ihre Curricula an die neuen Gegebenheiten anzupassen. Der neue Rahmen liefert dafür über 500 konkrete Lernergebnisse, die als direkt anwendbare Bausteine für den Unterricht dienen können .
Die Aktualisierung des DigComp ist eng mit zentralen EU-Initiativen wie dem Digital Education Action Plan und der AI Strategy verknüpft. Er bildet die konzeptuelle Basis für den Digital Skills Indicator (DSI), mit dem die EU den Fortschritt im Rahmen der „Digitalen Dekade“ misst. Das Ziel, bis 2030 mindestens 80% der Bevölkerung mit grundlegenden digitalen Fähigkeiten auszustatten, kann nur erreicht werden, wenn die Bildungssysteme mit der technologischen Entwicklung Schritt halten.

Ein Rahmen allein schafft keine Kompetenz

Expert:innen begrüßen die Aktualisierung als notwendigen Schritt, warnen aber vor überzogenen Erwartungen. Ein Referenzrahmen allein löst die digitalen Bildungskrisen nicht. Die jüngsten OECD-Daten zur KI-Nutzung von Lehrkräften in Europa zeigen ein gemischtes Bild: Während im EU-Schnitt bereits 32% der Lehrkräfte KI im Unterricht einsetzen, gibt es massive Unterschiede zwischen den Ländern . Eine der Haupthürden ist fehlende Fortbildung und Unterstützung.
Martina Di Ridolfo vom Europäischen Gewerkschaftsausschuss für Bildung (ETUCE) warnt angesichts des europaweiten Lehrkräftemangels vor einer möglichen „De-Qualifizierung“ des Berufs, wenn KI unreflektiert zur Kompensation von Personalmangel eingesetzt wird . Auch die UNESCO betont, dass KI-Tools Lehrkräfte ergänzen, aber niemals ersetzen dürfen. Die pädagogische Autonomie und die ethische Aufsicht müssen in den Händen der Menschen bleiben.

Was bedeutet das für den Schulalltag?

Für Lehrkräfte und Eltern in Österreich bedeutet DigComp 3.0 vor allem eine Konkretisierung dessen, was digitale Bildung heute umfassen muss. Es geht nicht mehr nur um die Bedienung von Geräten, sondern um eine tiefgreifende, kritisch-reflexive Auseinandersetzung mit der digitalen Welt. Die neuen Schwerpunkte bieten eine Chance, Themen wie den Umgang mit dem ersten Smartphone, die Nutzung von ChatGPT für Hausübungen oder die psychische Gesundheit im Netz auf einer fundierten Grundlage zu diskutieren und im Unterricht zu verankern. Der nächste Schritt muss nun sein, diesen Rahmen durch massive Investitionen in die Aus- und Fortbildung von Lehrkräften mit Leben zu füllen, damit die digitalen Kompetenzen nicht nur auf dem Papier, sondern auch in den Köpfen der nächsten Generation ankommen.

Quellen